E-Vote in Wahllokalen

In vielen Ländern kommen bei Wahlen und Abstimmungen elektronische Geräte zum Einsatz, die sich in den Stimmlokalen befinden (>> World map of electronic Voting 2011). Die Funktion der Geräte ist unterschiedlich und reicht vom Scannen und Auswerten papierener Wahlzettel bis zum papierlosen Wählen an einem Bildschirm (vgl. die Übersichten zu USA und Niederlanden).

Da die privaten Computer der Stimmbürger in diesem Fall nicht benützt werden, fallen die Risiken, die sich aus der Infektion dieser Computer mit Trojanern etc. ergeben, nicht in Betracht. Oft sind jedoch auch die Geräte in den Wahllokalen auf eine Internetverbindung zur Zentrale angewiesen und daher nicht vor Hacker-Angriffen gefeit. Ferner sind sie Eingriffen von Insidern in gleicher Weise ausgesetzt wie die Zentrale eines E-Voting-Systems.

Die Sicherheitsproblematik ist daher mit jener beim Online-Voting in Vielem vergleichbar, und es lohnt sich, auch diese Systeme näher zu betrachten. 
   

Australien

Im Bundesstaat Victoria werden seit einigen Jahren spezielle Geräte verwendet, um Blinden und andern Behinderten die Teilnahme an den Wahlen zu ermöglichen (”vVote” System). Diese Geräte besitzen eine Internet-Verbindung, befinden sich jedoch in Wahllokalen, wo die Stimmenden von Mitarbeitern der Behörde unterstützt werden. (Burton, Culnane, Schneider 2015Electoral Council of Australia & New Zealand 2013, S.21 f, 80)

Belgien

In Belgien wurden elektronische Wahlgeräte seit 1991 erprobt; 1999 wählte fast die Hälfte der Stimmberechtigten auf diesem Weg. Erst später wurden Bedenken mit Bezug auf die Sicherheit laut. Ein 2006 von der Regierung in Auftrag gegebener Bericht empfahl die Verwendung von Wahlcomputern, die einen Stimmzettel ausdrucken. Dieser kann vom Stimmenden überprüft werden, und er enthält zusätzlich einen Barcode, der sich elektronisch auswerten lässt. Ein solches System gelangt seit 2012 in den Regionen Brüssel und Flandern zum Einsatz. (Vegas González 2012; Serdült et al 2016, S. 82 f)

Brasilien

Brasilien verwendet seit 1996 Wahlgeräte und seit 2010 ein biometrisches System zur Identifizierung der Wähler anhand ihres Fingerabdrucks. Die ersten Geräte druckten auch einen Papierbeleg; auf diesen wurde dann aber verzichtet, weil der Druck zu störungsanfällig war. Mit einem Gesetz von 2009 wollte man das Erfordernis eines Papierbelegs wieder einführen. Es wurde jedoch vom Verfassungsgericht aufgehoben, weil es das Stimmgeheimnis verletze (Printed vote). (Wikipedia)

Deutschland

In Deutschland wurden auf lokaler Ebene seit 1998 versuchsweise elektronische Wahlgeräte (’Wahlcomputer’) eingesetzt. In den Parlamentswahlen von 2005 kamen diese Geräte erstmals in grossem Massstab zum Einsatz, was von verschiedener Seiten kritisiert wurde (Übersicht CCC). Es wurden dagegen zwei Beschwerden an das Bundesverfassungsgericht erhoben, welches diese 2009 guthiess:

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2009
(2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07)

Nach dem Entscheid des Gerichts müssen “beim Einsatz von elektronischen Wahlgeräten … die wesentlichen Schritte von Wahlhandlung und Ergebnisermittlung zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.”

Das ergebe sich aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl. “Die demokratische Legitimität der Wahl verlangt nach Kontrollierbarkeit des Wahlvorgangs, damit Manipulation ausgeschlossen oder korrigiert und unberechtigter Verdacht widerlegt werden kann.”

Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn der Abstimmungsvorgang und die Ermittlung des Ergebnisses nur von Computerspezialisten nachzuvollziehen sei. Auch vorgeschaltete Prüfungen und Zertifizierungen der Wahlgeräte vermöchten diesen Mangel nicht auszugleichen.

Das Gericht traf diesen Entscheid, ohne dass beim Wahlvorgang konkrete Unregelmässigkeiten nachgewiesen worden wären. Die blosse Möglichkeit einer Manipulation und die Unmöglichkeit, dies nachzuprüfen, genügten für die Gutheissung der Beschwerden. (Vgl. demgegenüber das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts von 2014.)

Das Verfassungsgericht hielt Wahlgeräte nicht generell für unzulässig; vorausgesetzt sei jedoch eine transparente Kontrollmöglichkeit. Eine solche sei beispielsweise bei Wahlgeräten gegeben, “die zusätzlich zur elektronischen Erfassung der Stimme ein für den jeweiligen Wähler sichtbares Papierprotokoll der abgegebenen Stimme ausdrucken, das vor der endgültigen Stimmabgabe kontrolliert werden kann und anschließend zur Ermöglichung der Nachprüfung gesammelt wird.”

Ein solches System wird zur Zeit von der Technischen Universität Darmstadt entwickelt (EasyVote). Auf lokaler Ebene werden in mehreren Bundesländern auch elektronische Zählgeräte eingesetzt (Serdült et al 2016, S. 84 f).

Frankreich

In den meisten französischen Wahlbüros werden neben ‘normalen’ Stimmzetteln seit Jahren auch Wahlgeräte benützt. Das hat zu zahlreichen politischen Kontroversen und Rechtsfällen, bisher aber zu keiner Änderung der Praxis geführt. Im Januar 2015 brachte ein Abgeordneter der Assemblée nationale einen Gesetzesentwurf ein, mit welchem die Verwendung von Wahlgeräten untersagt werden soll. Zur Begründung verwies er auf häufige Funktionsstörungen, das Risiko von Manipulationen und das Misstrauen der Bürger gegenüber diesen Geräten. Der Vorstoss ist noch pendent. (WikipediaAssemblée nationalenextinpact.com

Grossbritannien

In verschiedenen Wahlbezirken Englands und Schottlands werden auf lokaler Ebene elektronische Wahlhilfen, insbesondere zum Scannen und Auswerten der papierenen Wahlzettel, verwendet. (Serdült et al 2016, S. 86 ff)

Indien

Elektronische Wahlmaschinen sind weit verbreitet, in den meisten Fällen ohne jeglichen Kontrollausdruck auf Papier. Das will man jetzt — unter anderem wegen eines Gerichtsentscheids — ändern. Aber das geht nur sehr langsam vorwärts. (WikipediaDNA India April 2014)

Niederlande

In den Niederlanden waren seit den 90er Jahren Wahlgeräte (’Stimmcomputer’) im Gebrauch. Nach 2000 wurde in der Öffentlichkeit zunehmend Unbehagen darüber laut, dass die Stimmbürger keinerlei Kontrolle darüber hatten, was mit ihrer Stimme nach deren Abgabe auf dem Computer geschah. Nachdem überdies festgestellt worden war, dass die Stimmcomputer anhand ihrer elektromagnetischen Strahlung ‘abgehört’ werden konnten und damit das Stimmgeheimnis bedroht war, kehrte das Land 2008 zum Abstimmen mit papierenen Stimmzetteln zurück. (Kampagne gegen Stimmcomputer)

Vor ein paar Jahren nahm man einen neuen Anlauf zur Einführung elektronischer Hilfsgeräte. Begründet wurde dies mit dem Bedürfnis, die Stimmabgabe für Behinderte zu erleichtern, und mit der Schwierigkeit, genügend Stimmenzähler für die Stimmbüros zu finden. Mit den notwendigen Abklärungen wurde eine Experten-Kommission betraut, welche 4 Modelle prüfte (Van Beek Kommission 2013, S. 19 ff):

  • Modell 1:  Stimmcomputer, der die Stimme direkt auswertet, aber zur Kontrolle einen Papierbeleg produziert.
  • Modell 2:  Stimmcomputer, der einen ausgefüllten Stimmzettel druckt, welcher anschliessend gescannt und elektronisch ausgewertet wird.
  • Modell 3:  Ausfüllen des Stimmzettels von Hand. Dieser wird anschliessend gescannt und elektronisch ausgewertet.
  • Modell 4:  Ausfüllen des Stimmzettels von Hand und Zählen von Hand.

Nicht näher geprüft wurden Stimmcomputer ohne Papierbeleg, wie man sie früher verwendet hatte. Diese seien weder transparent noch kontrollierbar, sodass der Wähler völlig vom Vertrauen in die Apparatur abhängig sei (S. 24).

Die Kommission gelangte zum Schluss, dass auch gegenüber dem Modell 1 Sicherheitsbedenken bestünden und nur die Modelle 2 und 3 den Anforderungen genügten. (Sie entsprechen den als Typen 1 und 2 bezeichneten Wahlgeräten in den USA.) (Van Beek Kommission 2013, S. 7f, 28, 30, 32 ff)

Gestützt auf diese Ergebnisse setzte die Regierung eine weitere Expertengruppe ein, die im Mai 2016 empfahl, keine Stimmcomputer (Modell 2), sondern nur elektronische Stimmenzähler (Scanner mit Software zur Auswertung der Stimmzettel gemäss Modell 3) zu beschaffen. Sie fand, dass Stimmcomputer zwar nützlich wären, bei diesen jedoch zuwenig berücksichtigt werde, dass Bedrohungen und Risiken stets zunähmen. (Expertengruppe, Mai 2016) 

Bei den Parlamentswahlen vom März 2017 war allerdings noch keine dieser Lösungen realisiert, und es wurde sogar der Gebrauch der verbliebenen Hilfsmittel noch weiter eingeschränkt (>Zurück zum Papier). 

USA

In den USA werden elektronische Wahlhilfen verschiedenster Art in grossem Massstab eingesetzt (>USA).