Nachzählungen in den USA 2016

Im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen vom November 2016 wurde in fünf Staaten der USA versucht, eine Nachzählung (Recount) der abgegebenen Stimmen zu erreichen. In den drei Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, die relativ knapp zugunsten von Trump gestimmt hatten, war Jill Stein die Initiantin dieser Kampagnen. Sie hatte als Präsidentschafts-Kandidatin der Green Party an den Wahlen teilgenommen, aber landesweit nur 1,06% aller Stimmen erzielt. In Florida unternahmen drei Wähler denselben Versuch. In Nevada, wo Clinton obenaus geschwungen hatte, verlangte Rocky De La Fuente, der Präsidentschaftskandidat einer Kleinstpartei, eine Nachzählung, die er als “Gegengewicht” zu den Kampagnen von Jill Stein bezeichnete.
 
Offizielle Stimmenzahlen in diesen Staaten:
 
  Trump Clinton Differenz
Wisconsin 1,405,284 1,382,536 0,77 %
Michigan 2,279,543 2,268,839 0,23 %
Pennsylvania 2,970,733 2,926,441 0,73 %
Florida 4,617,886 4,504,975 1,20 %
Nevada 512,058 539,260 2,42 %

Charakteristisch für diese Kampagnen waren die zahlreichen Gerichtsverfahren und Rechtsmittel, die von allen Seiten angestrengt wurden. Sie werden hier nur verkürzt dargestellt; es bleibt aber auch so noch sichtbar, mit welchem Aufwand gestritten wurde. 

Zu den politischen Zusammenhängen der Nachzähl-Bestrebungen vgl. Wikipedia
  

Die fünf Recount-Kampagnen

Wisconsin

In Wisconsin wurde mit der Nachzählung begonnen, nachdem Jill Stein einen Betrag von 3,5 Millionen Dollar hatte hinterlegen müssen. Drei Political Action Committees, die Donald Trump unterstützen, versuchten darauf, vor Gericht einen Abbruch der Zählung zu erreichen, was der angerufene U.S. District Court jedoch ablehnte (Wisconsin Public Radio, 9. Dez. 2016). Nach Abschluss der Nachzählung ergaben sich im ganzen Staat 837 zusätzliche Stimmen für Trump und 706 für Clinton (Wisconsin State Journal, 13. Dez. 2016). 

Keinen Erfolg hatte Stein mit ihrem Begehren, die Nachzählung müsse ausschliesslich von Hand, also nicht mithilfe von Scannern, durchgeführt werden. Sie begründete dies damit, dass bereits die Wahl zum Teil mittels Scannern ausgewertet worden sei und es jetzt darum gehe, diese Resultate zu überprüfen. Die Behörde überliess es jedoch den einzelnen Counties, über das Vorgehen zu entscheiden; ein Rechtsmittel gegen diese Anordnung wurde abgewiesen. Über den Anteil, der schliesslich von Hand nachgezählt wurde, bestehen widersprüchliche Angaben. (Milwaukee Journal Sentinel, 29. Nov. 2016Wisconsin Public Radio, 13. Dez. 2016

Michigan

Auch in Michigan ersuchte Jill Stein die staatliche Wahlbehörde um Durchführung einer Nachzählung, und die Anwälte von Trump intervenierten auch hier. Da die Behörde sich nicht einigen konnte, verzögerte sich der Beginn der Zählung. Um keine Zeit zu verlieren, verlangte Stein beim zuständigen U.S. District Court eine dringliche vorsorgliche Anordnung. Diese wurde ihr bewilligt (U.S. District Court, 5. Dez. 2016), worauf die Nachzählung begann.

In der Zwischenzeit hatten sich Trumps Anwälte an den Michigan Court of Appeals gewandt, um die Wahlbehörde zum Abbruch der Nachzählung zu zwingen. Das Gericht entsprach diesem Antrag mit der Begründung, dass Jill Stein ohnehin keine Aussicht auf einen Wahlerfolg habe und damit auch keinen Anspruch auf eine Nachzählung besitze (Michigan Court of Appeals, 6. Dez. 2016). Dieser Entscheid wurde vom Michigan Supreme Court mit 3 zu 2 Stimmen bestätigt (Michigan Supreme Court, 9. Dez. 2016). Inzwischen hatte der U.S. District Court seine vorsorgliche Anordnung zurückgezogen, und die Nachzählung wurde abgebrochen.

Pennsylvania

Einige Counties von Pennsylvania liessen sich durch die Initiative von Stimmbürgern dazu bewegen, mit einer Nachzählung zu beginnen. Um einen Recount im ganzen Staat zu erreichen, erhob Jill Stein Klage beim Commomwealth Court of Pennsylvania. Als das Gericht einen Vorschuss von 1 Million Dollar verlangte, zog sie die Klage zurück, weil sie diese Zahlung nicht mehr leisten könne, und wandte sich stattdessen an den District Court des Bundes (Business Insider, 3. Dez. 2016Fox News, 4. Dez. 2016).

Die Anwälte von Trump reagierten umgehend mit einem Gegenantrag. Der zuständige Richter des District Court hörte Experten beider Parteien an und wies die Klage danach ab (U.S. District Court for the Eastern District of Pennsylvania, 12. Dez. 2016). Er begründete dies u.a. mit der Aussichtslosigkeit von Steins Präsidentschafts-Kandidatur (vgl. unten, Legitimation) und dem kurz bevorstehenden Termin gemäss Bundesrecht, bis zu welchem eine Nachzählung ohnehin nicht mehr möglich sei. Ferner äusserte er sich zu technischen Belangen (vgl. unten, Erkenntnisse). 

Nevada

In Nevada erhielt Rocky De La Fuente gegen eine Gebühr von 14’000 Dollar das Recht, 5% der Wahlkreise zu bestimmen, die als erste nachgezählt werden mussten. Wenn sich dabei eine Diskrepanz von mehr als 1% ergeben hätte, wäre die Nachzählung auf den ganzen Staat ausgedehnt worden (Fortune, 5. Dez. 2016). Die ersten Zählungen zeigten jedoch keine Veränderung der für ihn abgegebenen Stimmen und nur minimale Korrekturen bei Trump und Clinton (Las Vegas Review-Journal, 8. Dez. 2016). Damit wurde das Verfahren beendet. 

Florida

In Florida versuchten drei Stimmürger im Namen einer NGO namens ‘Protect Our Elections’, eine Nachzählung für den gesamten Staat zu erreichen. Mittels gerichtlicher Klage machten sie geltend, dass zehntausende von Stimmen wegen schlecht funktionierender Wahlgeräte nicht gezählt worden seien; anderseits habe man zehntausende Stimmen mitgezählt, die ungültig gewesen seien, und in mindestens 25’000 Fällen seien Unterlagen für die briefliche Abstimmung verlangt, aber nicht geliefert worden. Ihre sehr unbestimmten Vorwürfe begründeten sie im wesentlichen damit, dass die verwendeten Wahlgeräte in hohem Mass für Hacking anfällig seien und dass Trump viel mehr Stimmen erhalten habe, als man nach den Voraussagen habe erwarten können. Verdächtig sei auch der hohe Anteil von 1,67% ungültigen Stimmen, nachdem dieser bei früheren Wahlen jeweils nur ca. 0,75% betragen habe (Complaint, 2. Dez. 2016; Miami New Times, 5. Dez. 2016). 

Das Begehren wurde vom erstinstanzlichen Gericht wie auch von der angerufenen Appellationsinstanz ohne weiteres abgewiesen mit der Begründung, dass die Kläger verschiedene Verfahrensregeln nicht eingehalten und keinerlei Beweise für ihre Behauptungen vorgelegt hätten (Tallahassee Democrat, 13. Dez. 2016; Tallahassee Democrat, 21. Dez. 2016). 
 

Voraussetzungen für einen Recount

Die Regeln für eine Nachzählung werden in den USA — wie die ganze Organisation von Wahlen und Abstimmungen — durch die Einzelstaaten erlassen. Die Anforderungen sind denn auch von Staat zu Staat sehr verschieden (vgl. die Übersichten bei CEIMN und VerifiedVoting). 

Das Bundesrecht legt jedoch den Endtermin fest, bis zu welchem die Resultate der Einzelstaaten vorliegen müssen, um bei der Wahl des Präsidenten durch die Elektoren berücksichtigt zu werden. Diese Frist lief am 13. Dezember 2016, wenig mehr als einen Monat nach der Wahl, ab. Verschiedene Vertreter von Wahlbehörden klagten, dass es fast nicht möglich sei, eine Nachzählung innert dieser Frist zu beenden. Der Richter, der die Nachzählung in Pennsylvania ablehnte, begründete seinen Entscheid unter anderem damit, dass eine Nachzählung in der kurzen Frist bis zum 13. Dezember gar nicht mehr möglich sei (U.S. District Court S. 30 f).

Knapper Ausgang 
Bei einem sehr knappen Ergebnis wird in manchen Staaten von Amtes wegen eine Nachzählung durchgeführt. In Michigan wäre das z.B. der Fall gewesen, wenn die Differenz zwischen Clinton und Trump weniger als 2’000 Stimmen betragen hätte (CEIMN). Sie betrug aber effektiv ca. 10’700 Stimmen. In Pennsylvania hätte schon eine Differenz von 0,5% genügt (CEIMN), dort betrug sie jedoch effektiv 0,73%.
Kosten

Wer eine Nachzählung verlangt, hat in vielen Staaten einen Vorschuss für die voraussichtlichen Kosten zu leisten. So musste Jill Stein in Wisconsin  3,5 Millionen Dollar und in Michigan  973’250 Dollar hinterlegen, damit ihre Begehren an die Hand genommen wurden. Nach dem Recht von Wisconsin war am Schluss über die effektiven Kosten abzurechnen. In Michigan wäre ein über die Vorauszahlung hinausgehender Aufwand vom Staat übernommen worden; da die Nachzählung jedoch kurz nach dem Beginn abgebrochen wurde, hatte Stein Anspruch auf eine teilweise Rückzahlung (The Detroit News 28. Nov. 2016; Detroit Free Press, 9. Dez. 2016). In Pennsylvania legte der Commomwealth Court für das gerichtliche Verfahren eine Kaution von 1 Million Dollar fest, zu deren Zahlung sich Stein ausserstande erklärte. Nach dem Abschluss aller Verfahren gab sie öffentlich über die gesamten Aufwendungen und deren Finanzierung Auskunft (Milwaukee Journal Sentinel, 13. Dez. 2016). 

Günstiger war das Vorgehen für De La Fuente in Nevada, wo er gegen eine Gebühr von nur 14’000 Dollar das Recht erhielt, 5% aller Wahlkreise auszuwählen, die als erste zu zählen waren (vgl. oben). 

Legitimation (aktuelles Interesse)
Die Gerichte von Michigan und Pennsylvania wiesen die Nachzählungs-Begehren von Jill Stein ab, weil sie als Präsidentschaftskandidatin nur wenige Stimmen erzielt hatte (in Michigan 1,07%, in Pennsylvania 0,81%) und daher nicht die geringste Chance besass, das Ergebnis mithilfe einer Nachzählung zu ihren Gunsten zu verändern (Michigan Supreme Court, 9. Dez. 2016; U.S. District Court for the Eastern District of Pennsylvania, 12. Dez. 2016, S. 12 ff).

Dass die Nachzählung nicht für ein aussichtsloses Anliegen in Gang gesetzt wird, ist verständlich. In der Regel besitzen aber auch die Wähler einen Anspruch auf korrekte Ermittlung des Resultats. Da Jill Stein in den fraglichen Staaten nicht selber wahlberechtigt war, beteiligte sie immer auch Wähler des betreffenden Staates an ihrem Verfahren. Wenn diese ein Interesse an einer Wahl von Hillary Clinton geltend machten, konnte es nicht als aussichtslos bezeichnet werden. 

In Michigan nützte das der Kampagne von Stein allerdings nichts, weil der Anspruch auf Nachzählung einer Wahl dort nur den Kandidaten zusteht; andere Stimmbürger können lediglich bei Abstimmungen über Initiativen etc. einen Recount verlangen (CEIMN: Voter-Initiated Options). 

In Pennsylvania können zwar auch Stimmbürger die Nachzählung einer Wahl verlangen. Um dies im ganzen Staat zu erreichen, müssen jedoch, sofern nicht klare Belege für einen Betrug vorliegen, in jedem Wahlkreis mindestens 3 Personen das Begehren unterstützen (U.S. District Court S. 4/5). Bei 9’175 Wahlkreisen und knappen Fristen war das eine hohe Hürde. Die Kampagne von Jill Stein hatte zunächst damit begonnen, Wähler in den Wahlkreisen zu mobilisieren, diese Bemühungen aber angesichts des grossen Zeitdrucks wieder eingestellt, als noch kaum 100 Wahlkreise erreicht waren. Mit ihrer Klage vor dem U.S. District Court machte sie denn auch geltend, dass die in Pennsylvania geltenden Anforderungen unverhältnismässig belastend seien und damit gegen die Verfassung der USA verstiessen. Diese Klage reichte sie zusammen mit einem lokalen Wähler ein. Der District Court berücksichtigte jedoch die Legitimation des Wählers wiederum nur für das County, in dem dieser wahlberechtigt war (U.S. District Court S. 15). Für eine Nachzählung im ganzen Staat reichte das nicht. 

In Wisconsin wurde die Nachzählung auf Antrag von Jill Stein trotz ähnlicher Einwände zugelassen. Auch das Begehren von De La Fuente in Nevada wurde bewilligt, obschon er mit seiner Kandidatur in diesem Staat nur 0,23% (landesweit sogar nur 0,02%) der Stimmen erzielt hatte. 
 

Erkenntnisse aus den Nachzählungen

Wisconsin

Wisconsin war der einzige Staat, in welchem die Nachzählung zu Ende geführt wurde. Die meisten Wahllokale verwenden dort optische Scanner, mit denen die von Hand ausgefüllten Stimmzettel erfasst und ausgewertet werden. Zu einem geringeren Teil werden auch Wahlgeräte eingesetzt, auf deren Bildschirm man direkt wählen kann. Alle verwendeten Typen produzieren jedoch einen Papierbeleg der einen oder andern Art (Typ 2 oder Typ 3a). Die Nachzählung konnte daher anhand der papierenen Belege durchgeführt werden. 

Im Vorfeld waren die Wahlgeräte beanstandet worden, weil es sich um ältere Geräte handelt, die als wenig sicher gelten und deshalb in anderen Staaten z.T. nicht mehr verwendet werden dürfen (Politifact, 29. Nov. 2016). Die geringen Differenzen, die sich bei der Nachzählung ergaben, lassen aber keine (oder jedenfalls keine systematische) Verfälschung vermuten. Die Bedenken wegen der grundsätzlichen Manipulierbarkeit der Geräte sind damit freilich nicht entkräftet.

Ob die festgestellten Diskrepanzen bei den Stimmenzahlen durch die Scanner oder durch die Wahlgeräte, auf denen die Wähler ihre Stimme direkt eingeben, verursacht wurden, ist den publizierten Ergebnissen nicht zu entnehmen. Bei den Wahlgeräten dürften sie eigentlich nicht vorkommen, denn hier würde — ebenso wie beim Online-Voting — schon eine einzige falsch registrierte Stimme die Zuverlässigkeit des Systems in Frage stellen. 

Michigan

Michigan verwendet fast ausschliesslich papierene Stimmzettel, die von Hand ausgefüllt und dann für die Auswertung gescannt werden (VerifiedVoting.org). Von jedem Wähler existiert somit ein Papierdokument, was an sich eine ideale Voraussetzung für die Nachzählung ist. In den wenigen Tagen, bis die Nachzählung gestoppt wurde, zeigten sich jedoch schon zahlreiche Mängel. Nicht nur, dass in 5 Wahlkreisen von Detroit die Wählerlisten nicht auffindbar waren (The Detroit News, 15. Dez. 2016); auch die von den Scannern erfassten Stimmen stimmten in vielen Wahlkreisen nicht mit der Zahl der protokollierten Wähler überein. In Detroit meldeten nur 236 von insgesamt 662 Wahlkreisen gleich viele Wähler wie abgegebene Stimmen; in 248 Wahlkreisen waren zu viele, in 144 Wahlkreisen zu wenig Stimmen erfasst worden. Weitere 34 Wahlkreise lieferten ebenfalls ungleiche Zahlen, für die aber eine plausible Erklärung vorlag. Da nach den Gesetzen von Michigan bei einer unerklärten Diskrepanz zwischen protokollierten Wählern und erfassten Stimmen keine Nachzählung stattfinden darf, hätten somit 392 (59%) der Wahlkreise von Detroit von vornherein nicht überprüft werden können. In anderen Counties, die ebenfalls mit der Nachzählung begonnen hatten, zeigten sich ähnliche Mängel, jedoch in geringerem Umfang (zwischen 15% und 27% der Wahlkreise). (The Detroit News, 13. Dez. 2016Detroit Free Press, 19. Dez. 2016

Die zuständigen Behörden vermuteten Fehlfunktionen der Scanner und menschliche Fehler als Ursachen der Mängel. Detroit will nun die alten Scanner noch vor den lokalen Wahlen von 2017 ersetzen.

Tatsächlich lassen die geringfügigen Abweichungen in den Wahlkreisen (jeweils nur wenige Stimmen) nicht in erster Linie an eine Manipulation der elektronischen Infrastruktur denken. Bei diesen Abweichungen handelte es sich allerdings nur um die Gesamtzahlen pro Wahlkreis, also eine administrative Grösse, die eigentlich von vornherein stimmen sollte. Ob bei den Stimmen für die einzelnen Kandidaten ebenfalls Differenzen bestanden, wissen wir nicht, da die Nachzählung ja nicht durchgeführt wurde. 

Pennsylvania

Von der Kampagne in Pennsylvania bleiben einerseits die aussergewöhnlichen Hürden in Erinnerung, welche die Gesetzgebung einem Nachzählungsbegehren in den Weg stellt (vgl. oben, Legitimation). Anderseits interessierte die Auseinandersetzung in diesem Staat auch deshalb, weil dort die meisten Wahlkreise Wahlgeräte verwenden, die keinen Papierbeleg produzieren; die Ausgangslage war insofern heikler als in Wisconsin oder in Michigan.

Beim Hearing vor dem U.S District Court beriefen sich die Kläger auf ihren Experten J. Alex Halderman, der schon im Vorfeld dargelegt hatte, mit welchem Vorgehen Hacker die Wahlen beeinflussen könnten (Halderman, 23. Nov. 2016): Die Angreifer würden vor den Wahlen Informationen über die eingesetzten E-Voting-Systeme beschaffen, gestützt darauf geeignete Schadsoftware entwickeln und diese frühzeitig in die Wahlgeräte kritischer Staaten einschleusen. Die Software würde vermutlich so programmiert, dass sie bis zu den Wahlen inaktiv bliebe, um bei Funktionstests nicht entdeckt zu werden; erst am Wahltag würde sie sich aktivieren und sich nach der Wahl wieder löschen.

Der von den Behörden angerufene Experte Michael Shamos machte demgegenüber geltend, dass das E-Voting System von Pennsylvania, an dessen Entwicklung er selber mitgearbeitet hatte, stark dezentralisiert sei (U.S. District Court S. 25 ff). In 54 Counties seien tausende von Wahlgeräten im Einsatz, die nicht mit dem Internet verbunden seien. Die Wahlgeräte hätten lediglich eine Verbindung zum zentralen Wahl-Management des jeweiligen County, aber auch dieses besitze keine Verbindung ins Internet und werde nur wenige Male pro Jahr eingeschaltet. Die Wahlgeräte würden zudem vor jeder Wahl getestet. Dass ein Schadprogramm imstande sei, sich erst am Wahltag zu aktivieren und nachher wieder zu löschen, habe er noch nie gesehen. (In diesem Punkt war er offenbar schlecht informiert.) 

Halderman hatte schon zuvor erläutert, wie Wahlgeräte, die nicht mit dem Internet verbunden sind, infiziert werden können. Die Geräte müssen nämlich vor jeder Wahl mit den nötigen Informationen versehen werden, welche von zentralen Computern mittels mobiler Speichermedien hinüberkopiert werden. Wenn man die zentralen Computer, die kaum sehr gut gesichert seien, mit einer Schadsoftware infiziere, werde sie zusammen mit den übrigen Informationen auf die Wahlgeräte verteilt (Halderman, 23. Nov. 2016). 

Der Richter liess sich von diesen Argumenten nicht überzeugen. Er wies darauf hin, dass über die fraglichen Geräte bereits neun Jahre lang vor den staatlichen Gerichten gestritten worden sei (U.S. District Court S. 20); letztinstanzlich waren sie vom Supreme Court of Pennsylvania am 17. Februar 2015 gebilligt worden. 

Nicht beantwortet wurde damit die Frage, wie eine Nachzählung in den Wahlkreisen, in denen kein Papierbeleg produziert wird, überhaupt hätte stattfinden können. Die Nachprüfung begegnet hier denselben Schwierigkeiten wie beim Online-Voting (vgl. >Nachprüfung). Die Vorschriften von Pennsylvania sehen vor:

“For those counties using direct recording electronic (DRE) voting systems, the county board of elections shall conduct the statistical recount manually using the ballot images contained in the system, rather than the ‘totals tapes’.”  (CEIMN

Bei der Nachzählung würde man sich also wiederum auf die Aufzeichnungen des Computer-Systems verlassen (vgl. Daniel Lopresti, 15. Dez. 2016). Vielleicht müsste man die genannte Vorschhrift mit einem Appell an die Hacker verbinden, dass sie solche Aufzeichnungen doch gefälligst intakt lassen sollen … 

Die Kläger und Halderman hatten stattdessen verlangt, dass man ihnen ermögliche, die Wahlgeräte (bzw. eine zufällige Auswahl derselben) mithilfe von Experten zu untersuchen. Auch das hätte allerdings nicht zuverlässig gewährleistet, dass eine Manipulationen entdeckt worden wäre. Um derartige Risiken auszuschliessen, sieht Halderman wie andere Fachleute nur ein Mittel: Die Anwendung von Wahlverfahren, bei denen ein vom Wähler kontrolliertes Papierdokument produziert wird (Halderman 2016; Lindeman, Stark 2012; vgl. >Paper Trail; >Computer Technologist’s Statement; >Nachprüfung). 
 

Wurden die Nachzählungen in den ‘richtigen’ Staaten verlangt?

Angesichts der dargestellten Fakten kann man sich fragen, weshalb Jill Stein ihre Nachzähl-Kampagnen ausgerechnet auf diese drei Staaten konzentriert hat. In erster Linie natürlich deshalb, weil die Ergebnisse hier sehr knapp ausgefallen waren. War dies aber das richtige Kriterium, wenn es darum ging, allfällige Manipulationen übers Internet aufzudecken? 

Wo würden Hacker denn am ehesten angreifen? Wohl am ehesten dort, wo:

  • Wahlmaschinen eingesetzt werden, welche die Stimmen direkt registrieren. (Also nicht in Michigan, wo die Stimmzettel von Hand ausgefüllt und dann bloss elektronisch ausgewertet werden.)
  • die Wahlmaschinen keinen Papierbeleg produzieren. (Also nicht in Wisconsin oder Nevada; Pennsylvania wäre den Hackern sicher lieber.)
  • Wahlmaschinen oder zumindest die zentralen Systeme mit dem Internet verbunden sind.
  • möglichst viele Geräte vom selben Typ verwendet werden und die Auswertung zentral organisiert ist. Das würde die ‘Arbeit’ der Hacker erleichtern.

Aufgrund dieser Überlegungen war ein Hacker-Angriff nicht in erster Linie in Wisconsin oder Michigan zu erwarten; für Pennsylvania ist die Lage weniger klar. Nicht auszuschliessen waren natürlich in allen drei Staaten Manipulationen auf lokaler Ebene, wie sie bei elektronischen Wahlhilfen immer möglich sind. Insbesondere wenn, wie in Pennsylvania, keine Papierbelege produziert werden.

Auf diese Zusammenhänge hatten Vertreter der Wahlbehörden und des Department of Homeland Security schon vor der Wahl hingewiesen. Einen grossangelegten Hacker-Angriff auf die Wahl hielten sie für unwahrscheinlich, weil das Wahlsystem der USA äusserst dezentralisiert sei: Innerhalb der Staaten seien die einzelnen Counties zuständig, und die Geräte seien nicht miteinander verbunden. Sie warnten jedoch ausdrücklich vor Bestrebungen, die Wahlen übers Internet durchzuführen (Daily Signal, 18. Aug. 2016).

Was die Präsidentschafts-Wahlen anderseits auch gezeigt haben: Ein Wahlkampf kann übers Internet durchaus massgeblich beeinflusst werden, ohne dass man direkt in den Abstimmungs-Mechanismus eingreift (Tages-Anzeiger, 6. Jan. 2017New York Times, 6. Jan. 2017. Das ist jedoch ein anderes Thema und betrifft nicht das E-Voting. 
  

Rückblickende Kommentare in den USA

Die Bewertung der abgeschlossenen Recount-Kampagne fällt je nach Standpunkt der Kommentatoren unterschiedlich aus. Weitgehend einig ist man sich aber darin, dass an den Abstimmungsverfahren einiges zu verbessern wäre: