Online-Voting in anderen Ländern

“Die Schweiz ist doch nicht das einzige Land, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Gibt es nicht anderswo schon brauchbare Lösungen?”
  

Verschiedene Staaten haben Projekte zur Durchführung von Wahlen übers Internet in Angriff genommen. In vielen Fällen wurden die Versuche jedoch wieder eingestellt, als sich zeigte, dass die Risiken nicht so einfach zu beherrschen sind. (Bundesrat 2013, S. 50 ff; Serdült et al 2016, S. 81 ff; ACE projectVerifiedVotingEAC Survey 2011; Verdonck Klooster 2014, Anhang I)

Australien

An den Parlamentswahlen des Bundesstaates New South Wales nahmen 2015 mehr als 280’000 Stimmbürger über das Internet teil. Der Vorgang wird als bisher grösstes Online-Voting der Welt bezeichnet. Eine Analyse von Wissenschaftern der Universitäten Melbourne und Michigan brachte danach jedoch erhebliche Sicherheitsmängel zutage: Lücken im System hätten benutzt werden können, um Stimmen zu manipulieren, das Stimmgeheimnis zu verletzen und den Verifizierungs-Mechanismus zu unterlaufen. Vor den Wahlen seien diese Mängel trotz einer Sicherheits-Überprüfung nicht entdeckt worden (Halderman, Teague 2015). Die Behörden reagierten auf die Studie ziemlich gereizt, bestritten die Mängel jedoch nicht (EFF 2015). 

Für Wahlen auf Bundesebene ist in Australien kein Online-Voting vorgesehen. Eine Kommission des Bundesparlamentes sprach sich 2014 gegen dessen Einführung aus, weil es nach ihrer Auffassung die Zuverlässigkeit der Wahlen katastrophal beeinträchtigen könnte (”risks catastrophically compromising our electoral integrity”). (Teague, Culnane, Gore 2016Parliamentary Committee 2014; Electoral Council of Australia & New Zealand 2013, S. 71 ff) 

Estland

Estland ist mit Wahlen übers Internet bisher am weitesten gegangen. Jedermann kann seit 2005 bei lokalen und seit 2007 auch bei landesweiten Wahlen übers Internet abstimmen. Bei den Parlamentswahlen 2011 erreichten die online abgegebenen Stimmen einen Anteil von 24,3% (Verdonck Klooster 2014, Anhang I, S. 39 ff). 

Das estnische System gilt als besonders zuverlässig, weil die meisten Bürger eine spezielle Identitätskarte besitzen, die einen Chip mit kryptographischem Schlüssel enthält und auch für die Online-Wahlen verwendet wird. Eine Gruppe von Wissenschaftern hat jedoch 2014 gezeigt, dass sich die Sicherheitsmassnahmen dennoch umgehen lassen (Halderman, Hursti 2014). Die estnischen Behörden haben die Einwände, soweit ersichtlich, nicht widerlegt, verfolgen ihr Projekt jedoch weiter. (National Electoral CommitteeSolvak, Vassil 2016)

Frankreich

In Frankreich wurde Online-Voting ab 2003 versuchsweise und seit 2012 unbeschränkt für alle im Ausland lebenden Franzosen eingeführt. (Im Inland ist es nicht zugelassen.) Wiederholt wurden Sicherheitsbedenken geäussert, die teils zu zusätzlichen Massnahmen, nie aber zum Abbruch des Projektes führten. (Bundesrat 2013, S. 51 f; Verdonck Klooster 2014, Anhang I, S. 47 ff; Service-Public.frEAC Survey 2011, S. 48 ff)

Der Parti Pirate erhob 2012 eine Beschwerde gegen die Verwendung des Online-Voting, die vom Conseil d’État mit Entscheid vom 27. Juli 2015 (Nr. 360813) abgewiesen wurde . 
Zur materiellen Begründung genügten dem Gericht drei kurze Sätze (Ziff. 7): Das Online-Voting-System werde regelmässig mittels unabhängiger Expertisen geprüft; die Identifizierung und Authentifizierung des Wählers werde auf zwei verschiedenen Wegen übermittelt; und das Stimmgeheimnis, die Korrektheit der Wahl sowie die Erreichbarkeit des Portals müssten bei der Durchführung gewährleistet sein.

Grossbritannien

Zwischen 2002 und 2007 wurden bei einzelnen lokalen Wahlen Versuche mit Online-Voting durchgeführt. Wahlbeobachter der Open Rights Group, einer britischen NGO, berichteten 2007 von unbewachten Servern, hilflosen Benutzern und einer hohen Zahl ungültiger Stimmen (in manchen Wahlkreisen mehr als 10%). Die Versuche wurden seither nicht wiederholt. (Serdült et al 2016, S. 86 ff; Open Rights Group 2007)

Kanada

In Kanada fanden auf lokaler Ebene verschiedene Versuche mit Online-Voting statt. In der Provinz Ontario konnte bei kommunalen Wahlen von 2014 in mehreren Gemeinden online abgestimmt werden. Die Kleinstadt Stratford (Ontario) führte 2010 und 2014 sogar reine Online-Wahlen durch (wahlweise über Internet oder Telefon). (VotingProjectCBCnews 2011) 

Bei den Kommunalwahlen der Stadt Halifax (Provinz Nova Scotia) ist die Teilnahme übers Internet seit 2008 möglich. (Serdült et al 2016, S. 83; Scytl

Auch in den Provinzen British Columbia und Northwest Territories sind Versuche mit Online-Wahlen geplant. Der British Columbia Report 2014 enthält eine recht kritische Einschätzung der damit verbundenen Schwierigkeiten und Risiken. (British Columbia Report 2014British Columbia ElectionsNWT

Niederlande

In den Jahren 2004 und 2006 fanden Pilotversuche mit Online-Wahlen für Staatsangehörige im Ausland statt. Diese wurden nicht wiederholt, weil man kurz darauf auch im Inland zu reinen Papierwahlen zurückkehrte. (Bundesrat 2013, S. 52) 

Seit ein paar Jahren wird die Einführung von Online-Voting für im Ausland wohnende Staatsbürger wieder diskutiert. Ein von der Wahlbehörde in Auftrag gegebener Expertenbericht kam zum Schluss, dass die mit Wahlen übers Internet verbundenen Risiken sich nicht vollständig beherrschen liessen, die Gefahr jedoch durch den geringen Anteil der Auslandstimmen gemindert werde. (Verdonck Klooster 2014, S. 12 f, und Anhang II, S. 3 ff)

Ende 2016 soll ein Sicherheitstest mit einer simulierten Abstimmung durchgeführt werden (Pressemitteilungen Sept. 2015Nov. 2015). 

Norwegen

Norwegen führte bei den Parlamentswahlen 2011 und 2013 Pilotversuche mit Online-Voting durch. Nachdem Experten bei der Untersuchung der Software “significant problems with coding style, security and correctness” festgestellt hatten, wurden weitere Versuche 2014 abgesagt. (Dubuis 2013Pressemitteilung 2014; vgl. Gjøsteen, Strand 2017

Österreich

Der bisher einzige Versuch mit Online-Voting fand 2009 bei der Wahl von Studentenvertretungen für mehrere Universitäten statt. Dagegen wurden zahlreiche Beschwerden erhoben, die in letzter Instanz das Verfassungsgericht beurteilte. (Bundesrat 2013, S. 52; Serdült et al 2016, S. 81 f)

Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 2011
(V85/11 ua).

Der Gerichtshof äusserte Bedenken mit Bezug auf die Nachvollziehbarkeit und die Nachprüfbarkeit der Wahlen. Nach seinen Ausführung müsste das Verfahren so geregelt sein, dass überprüft werden kann, ob die Grundsätze einer demokratischen Wahl eingehalten werden. Er erwähnte insbesondere die Prüfung der Identität der Wähler und den Grundsatz der geheimen Wahl, die er wegen des elektronischen Verfahrens in einem Spannungsverhältnis sah.

Die Vorschriften müssten festlegen, “in welcher Weise die Wahlkommission überprüfen kann, ob das eingesetzte System auch fehlerlos funktioniert hat.” Dabei müssten die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung von der Wahlkommission selbst (ohne Mitwirkung von Sachverständigen) zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können. (2.4.1)

Weil die Wahlordnung diesen Anforderungen nicht genügte, wurde sie vom Gerichtshof aufgehoben.

Interessanterweise sagt das Gericht in seinem Urteil nicht, dass das angewandte Wahlverfahren unzulässig sei, sondern nur, was in Gesetz und Verordnung alles zu regeln wäre, damit eine Online-Wahl rechtmässig durchgeführt werden könnte. Es ist aber nicht schwer zu sehen, dass diese Anforderungen kaum erfüllbar sind, wenn man die Ausführungen betreffend Überprüfung durch Wahlbehörden "ohne besondere Sachkenntnis" zum Nennwert nimmt.

Das Gericht beurteilte den ganzen Fragenkomplex, ohne dass konkrete Unregelmässigkeiten bei den strittigen Wahlen beanstandet worden wären. Dies in Übereinstimmung mit dem Vorgehen des deutschen Verfassungsgerichts, aber im Gegensatz zum schweizerischen Bundesgericht

USA

In den USA wurde viel Zeit und Geld investiert, um ein sicheres Online-Voting-System für Militärangehörige im Ausland zu entwickeln. Diese Anstrengungen führten jedoch nicht zum Ziel und wurden 2015 abgebrochen.